“Bitte lies uns das Buch vor.” Dieser Satz graute mir, wenn es darum ging, die Kinder ins Bett zu bringen. Eigentlich will man nur Familie sein, doch dann holt mich die Legasthenie ein. Ich möchte ihnen ein Vorbild sein, meine Partnerin unterstützen und nicht immer sie das Zubettbringen übernehmen lassen. Doch wenn ich lese, verschwimmen die Wörter vor mir, ich stocke und verhaspele mich, und die Kinder, die die Geschichten mittlerweile auswendig kennen, bemerken, dass etwas nicht stimmt.
Ich versuche, es ihnen zu erklären, doch sie sind zu jung, um es nach einem Mal erklären zu begreifen (4 und 5 Jahre alt). Immer wieder muss ich meine verwundbare Stelle offenlegen. Doch ist das nicht auch gut? Wenn Kinder schon früh lernen, dass jeder anders ist und unterschiedliche Stärken und Schwächen hat. Also rede ich offen mit ihnen darüber, denn nur so finden die Fragen ein Ende. Der 5-Jährige fragt nun seltener, und ich weiß, dass er nun, wenn er auf andere mit Achillesfersen trifft, nicht von dieser Schwachstelle auf Intelligenz und sonstige Fähigkeiten schließt.
Beim Großen (9 Jahre alt) ist das schon länger kein Problem mehr. So lesen wir jeden Tag seinen Wissenskalender. Er liest, und gemeinsam fassen wir es zusammen und reden über den Inhalt. Manchmal lese auch ich, und natürlich verlese ich mich auch. Das ist aber kein Problem, denn durch den nächsten Satz wird wieder klar, worum es ging. Und auch danach reden wir über den Inhalt, sodass wir beide immer etwas mitnehmen. Er sagt:
“Er kann das nicht so gut, aber das ist okay, denn er weiß so vieles. Und warum sollte er sich dadurch quälen, wenn es mir leichter fällt?”
Ich zeige ihm, wie ich kompensiere, und mir mit Technik Wissen aneigne. So zeigte ich ihm am Kalender, wie ich mein Handy nutze, um Texte zu digitalisieren und dann vorlesen zu lassen.
Doch bei ihm rückt der Tag immer näher, an dem er besser liest als ich. Das macht mich weder traurig noch wütend, doch mulmig macht es mich schon. Doch ich bin, wer ich bin, nicht trotz, sondern wegen meiner Legasthenie geworden. Und das ist nun der Grund, warum ich lächle, wenn die Kinder sagen: “Bitte lies uns das Buch vor.”
Mehr zum Leben mit Legasthenie in der Vaterrolle kommt bald.
Bücher für eigene Geschichten
Es gibt tolle Bücher, die ohne Text auskommen, bei denen Eltern mit Legasthenie zusammen mit ihren Kindern Geschichten erfinden können. Ein tolles Beispiel dafür ist das Buch “Gute Nacht, Gorilla”.
Danke an Elli für das Einlesen
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